Deutsche historische Genusswelt

Ernährungsgeschichte ab 1350 - Kulinarik WIKI

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Wiki:Deutsche historische Genusswelt

Die deutsche historische Genusswelt hat eine besondere Geschichte. Von vielen Menschen, die in Deutschland leben, geboren und aufgewachsen sind, wird die Ernährungshistorie nicht wahrgenommen. Die deutsche, traditionelle Küche, gilt als verpönt. Zum Teil ist das auch nachvollziehbar. Fremde Küchen werden als interessanter wahrgenommen, raffinierter und leichter.

Was ist das kulinarische Elend Deutschlands? Wann hat der Verfall begonnen? Mit dem Beginn des 20.Jahrhunderts begannen die Vorbereitungen auf den 1. Weltkrieg. Das damalige regierende Kaiserpaar, allem voran die treusorgende Kaiserin, schwor das deutsche Volk auf den Krieg und die Hungersnot ein. Auguste Victoria (1858–1921), deren Leben eng mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verbunden war, konnte mit dem Zusammenbruch der Monarchie nicht leben. Sie lehnte die Demokratisierung ab und konnte sich mit dem Ende des Kaiserreichs und der Abdankung ihres Mannes, Kaiser Wilhelm II., nicht abfinden. Die Kriegsniederlage war absehbar und führte zu wachsendem Unmut in der Bevölkerung, der in der Novemberrevolution gipfelte.

Kaiserin Auguste Victoria war weit bekannt für ihr soziales und kirchliches Engagement. Sie gründete viele Frauenhilfe Organisationen und trieb ihr kirchliches Bauprogramm voran, was mit dem Spottnamen „Kirchenjuste“ quittiert wurde. Es wird argumentiert, dass ihre starre Haltung gegenüber den politischen Veränderungen eine bedeutende Rolle bei der Abwendung von einer friedlichen Transformation des Kaiserreichs spielte und somit zum Untergang beitrug. Auguste Victoria liebte ihre Rolle als Kaiserin, die sie, koste es was es wolle, nicht aufzugeben gedachte.

Hunger, Armut, Kriegsküche


Hunger, Armut und Krieg sind eng miteinander verknüpft, da Kriege Armut verursachen und verstärken, was zu Hunger führt. In der Geschichte der „Kriegsküche“ wurde versucht, durch die Zubereitung von Ersatzstoffen und billigen Gerichten wie Eintöpfen die Versorgung Knappheit zu sichern. Ersatzstoffe strecken Lebensmittel. Man kochte mit verfügbaren Ersatzstoffen und kochte so, dass die Mahlzeiten erweitert wurden. Ein bekanntes Beispiel ist der „Kohlrübenwinter“ von 1916/17 im Ersten Weltkrieg, hier ernährten sich die Menschen hauptsächlich von Kohl und Steckrüben. Der Eintopf entwickelte sich im Ersten Weltkrieg als praktisch und sättigend. Eine ganze Familie oder eine größere Gruppe konnte so ernährt werden.

Auch der Zweite WK verging mit Hunger und noch stärkerer Armut. Es wurden reichlich Kriegskochbücher auf den Markt gebracht, die die Bevölkerung lehrten, wie sie sich mit Pseudo-Nahrung am Leben erhalten können. Natürlich war das Kriegsende nicht auch zeitgleich das Ende von Not und Elend. Hier vergingen noch ca. 5 Jahre. Rund 40 Jahre lebten die Deutschen in Hunger und Armut.

Diese Zeitspanne bewirkte, dass ab 1933 ein Gewöhnungsprozess einsetzte. Die Menschen „richteten“ sich ein. Sie fanden ihren Weg durch das Elend. Als in den 1950er dann das Wirtschaftswunder einsetzte, waren die Deutschen gar nicht in der Lage, sich so schnell an den Boom anzupassen.

Leben und leben lassen


Endlich konnte man wieder leben. Es begann die Zeit des Kauf- und Reiserausch. Die Küchen wurden vollgestopft mit neuen Küchengeräten. Man konnte sich endlich wieder etwas leisten. Durch den Reiseboom und die Gastarbeiterschwemme entstand jedoch eine Art „Gegenbewegung“ zur traditionellen Küche. Die Deutschen wollten Pizza, Pasta und Minestrone. Man begann, sich von der landeseigenen Küche zu entfremden. Die Italiener, die lange keine kulinarische Bedeutung mehr hatten, kamen in den Fokus. Das deutsche Volk hofierte Pizza und Pasta als das neue freie Leben. Somit kann man die 1950er Jahre und den Zuzug der Gastarbeiter als den Zeitpunkt des Verlustes der eigenen kulinarischen Identität betrachten.

Was die Menschen allerdings nicht realisierten, wohl durch die Entfremdung von der eigenen Kultur durch die Kriegsjahre, nichts von den neuen kulinarischen Heiligtümern war neu. Alles was die ausländischen Migranten in die deutsche Küche einbrachten, war schon lange, lange da gewesen. Das italienische Armenessen ‚Pizza‘ aß man in Deutschland schon im Mittelalter, es nannte sich Dünnele, Blotz oder Fladen. Dünnele, auch Dinnete oder Dinnede, sind eine Alltagsspeise auf den Dörfern, ähnlich wie Flammkuchen. Sie bestehen aus einem dünnen Hefeteig der mit schlichten Zutaten und Resten wie Sauerrahm, Speck und Zwiebeln belegt wird.

Das Pendant zum Dinnele ist der Blootz (Platz) der aus dunklem Mehl besteht und ebenso belegt wird. Blootz ähnelt sehr der ehemals ostdeutschen Krusta. Traditionell wurden Dinnele und Blootz immer am Backtag hergestellt bzw. nach Benutzung des Backofens. Die herzhaften Hefekuchen wurden mit der Restwärme ausgebacken. Beispiele für die deutsche Pizza findet man ab dem Buch von guter Speise in der kulinarischen Literatur.

Die Liste können wir fortführen, denn so gut wie alles, was die Deutschen begeistert feierten, gab es schon und war absolut nicht neu. Ein neuer Name heißt nicht, dass es ein neues Produkt ist. In alten Gartenbüchern findet man lange Listen, was es bereits in der deutschen Speisekammer gegeben hatte. Artischocken, Auberginen, Apfelsinen, Ananas, Melonen, Cardi und und und. Das meiste dieser Gemüse- und Obstsorten wurde schon im 18. Jhd. angebaut. Nicht nur in den Orangerien der Deutschen Herrscherhäuser.

Nach mehr als 30 Jahren Entfremdung von der eigenen Küche seit der Wende 1989, setzt eine Art Rückbesinnung ein. Immer mehr Menschen, insbesondere ältere, möchten ihre traditionellen Gerichte wieder haben. Die Armenküche der ganzen Welt, die in ausländischen Restaurants angeboten wird, passt oft nicht mehr. Die eingedeutschte ausländische Küche hat keine Qualitätsansprüche. Oft ist das Essen schlecht oder gar nicht gewürzt, halbherzig produziert aus billigsten Discounterprodukten oder aus der Konserve und Tüte.

Sinn der Übersetzung historischer Kochbücher


Welchen Sinn hat die Aufarbeitung und Bewahrung historischer Kochbuchtexte ab dem Mittelalter? Einmal haben diese Aufzeichnungen einen kulturgeschichtlichen Wert, geben uns Einblick in die Entwicklung der Sprache, aber auch, wie sich die Ernährungsgeschichte entwickelte. Daneben beantwortet sich ganz einfach die Frage, wie sich unsere traditionelle kulinarische Entwicklung vollzogen hat.

Das Buch von guter Speise gilt als Basiswerk der deutschen Kulinarik. Da Michael de Leone in Würzburg lebte, sich jedoch nicht großflächig bewegte, ist anzunehmen, dass er Zuträger hatte, die zumindest regional Kochanweisungen sammelten. Damit könnte Odenwald, Mainz und Umgebung bis Würzburg erfasst sein. Aber aus welchem sozialen Umfeld stammen die Speisen? Eine Analyse der Zutaten kann zumindest sagen, ob die Personen gut betucht oder sehr betucht waren. De Leone selber war sehr vermögend. Er hatte von seinem Vater u.a. diverse Weinberge geerbt, aus denen ihm die jeweiligen Zehnten zugeflossen sein könnten.

Derlei Hauswirtschaftsliteratur war meist nicht zur Benutzung da, sondern zur Bewahrung und als Statussymbol. Ich persönlich denke, dass das Würzburger Buch eine andere Rolle einnahm.

Michael Jude, genannt Michael de Leone (* um 1300; † 3. Januar 1355) war Doktor beider Rechte, lebte standesgemäß als Patrizier, war Kleriker und Kanoniker. Den Hof Dominikanergasse6, den er sich mit seinem Vater für 450 Taler gekauft hatte, war schon längere Zeit im Besitz von Klerikern und war einst Eigentum des Templer- und Johanniterordens. Leone verfügte, das/die Bücher, die er anlegte, zum Hof und der Familie gehörten. Nach Leones Tod 1353, ging der Hof an seine Neffen Jakob de Leone. Wegen Teilnahme an einem politischen Aufstand wurde er gevierteilt. Der Hof und alles sonstige Gut und Geld wurde 1400 eingezogen. Dies war auch die Geburtsstunde der weiteren Geschichte des Hausbuches. 1403 verkaufte Jakobs Sohn, der Goldschmied Michael, den Hof an Arnold Herwig, einem Chorherrn von Neumünster. Nun verliert sich erst einmal die Spur.

Überall steht zu lesen, Michael hätte das Hausbuch in Auftrag gegeben. Gebe ich etwas in Auftrag dann konzipieren andere für mich. Im Falle des Hausbuches ist wohl davon auszugehen, dass das gesamte Werk von De Leone selber konzipiert und redigiert worden ist. Mit der schriftlichen Ausführung war Gyselher, der Schreiber Michaels, beauftragt. An dem Schriftbild lässt sich erkennen, dass mehr als zwölf Hände an dem Buch gearbeitet haben. Dies könnte darauf hindeuten, dass neben Gyselher auch Leones Schüler mitgearbeitet haben. Michael de Leone hat aktiv an der Gestaltung des Hausbuches mitgearbeitet, was durch seine Randnotizen belegt wird.

Wie entstanden die ganzen Kopien des Buches?


Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2897 ‚Kochbuch von St. Dorotheen zu Wien‘ Handschrift aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Nicht nur die darin enthaltenen 66 Rezepte sind identisch mit dem Buch von guter Speise, auch die Reihenfolge. Unterschiede bestehen in der Verkürzung, Vereinfachung und Auslassung von bestimmten Rezepten.

Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 4995 Frater Benedictus aus dem niederbayerischen Benediktinerkloster Biburg hat das Buch dem Kloster Mondsee im Jahr 1453 geschenkt.Der Name leitet sich von einer Randnotiz auf Blatt 238v ab. 86 der Rezepte sowie die gereimte Vorrede sind identisch mit dem Buch von guter Speise, auch wenn sie sprachlich angepasst wurden. Zum Beispiel wurden unübliche oder fremdartig klingende Titel von Rezepten durch einfachere, anschaulichere ersetzt.

Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2897Wien, Das „Wiener Kochbuch“, ebenfalls aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts,ist mit 48 Rezepten vertreten. Hier verteilen sich die Rezepte über das ganze Kochbuch.

Berlin, Staatsbibliothek, mgq. 1187 Die Handschrift, erste Hälfte des 15. Jh., enthält auf den Blättern 71r – 112v eine Kochrezeptsammlung, die Parallelen zum Buch von guter Speise aufweist und mit dem Klosterkochbuch Mondsee und St. Dorothea zu 90% identisch ist.

Die Kochanweisungen im Leone Buch haben zwei unterschiedliche Stile in Inhalt und Wortschatz und lassen vermuten, dass der 2. Teil eine Sammlung sein könnte. Der erste Teil bemüht sich noch um den didaktischen Charakter. 19 unterschiedliche Gewürze wurden namentlich genannt. Im zweiten Teil sind es nur noch vier Gewürze (Safran, Pfeffer, Galgant und Veilchen). Stattdessen wird der allgemeine Begriff „wuertze“ verwendet.

Dies kann bedeuten, dass die Kochanweisungen aus der Küche der Oberschicht und des Adels kommen. Aber auch kostbare Nahrungsmittel, wie aus dem Orient importierte Gewürze (z. B. Pfeffer, Safran, Nelken), oder die Zubereitung von Wildbret (z. B. Fasan, Hirsch, Rebhuhn), dessen Verzehr dem Adel vorbehalten war, können die Theorie stützen, dass einige Gerichte aus adligen Kreisen kamen.

Immer noch ungeklärt ist die Herkunft der Kochanweisungen. Sie sind in ihrer Gesamtheit so unterschiedlich in Ausdruck und Inhalt, dass für mich feststeht, dass es sich vielfach um Diktate/Ansagen handeln könnte. Der Schreiber hatte sowenig Ahnung von der Kocherei wie der Einlieferer. Denkbar auch, dass es sich um Sammelschnipsel handelt wie es bei einem fahrenden Spielmann gängig. Die Kochanweisungen wurden skizzenhaft notiert. Der Schreiber oder Ansager konnte die Stichpunkte nicht ordnen oder sich nicht sinnvoll ausdrücken.

Betrachtet man sich die Kochanleitungen tiefgründiger und versucht, sie zu reproduzieren, erkennt man darin alltagstypische Speisen unserer Zeit, die durchaus Raffinesse haben. Generell wird von heutigen Köchen beklagt, dass ja keine Maß - und Zeitangaben in dem Textverlauf stehen. Stehen sie doch, nur nicht in Stunden Minuten. Um 1350 gab es noch keine Armbanduhren. Ein Finger breit, ein Acker lang, eine Elle, sind eindeutige Maße.

Viele Probleme mit der kulinarischen Übersetzung haben nichts mit dem Mittelalter zu tun, sondern mit der Neuzeit. Ich habe nur eine Kochanweisung gefunden, die für mich etwas verwirrend ist. Ein Blamensir ist kein Blanc Manger, wie oft behauptet. Der Blamensir ist die Vorstufe zum Frikassee, Geflügelragout. Blanc Manger ist eine Mandelsulz, ein Galrey. Wo steht da aber im Rezept etwas von?

Schröder stellte schon im 19. Jhd die Vermutung auf, dass ein Teil der Kochanleitungen vom König vom Odenwald stammten. Der Spielmann war möglicherweise identisch mit Schenk Johann II. von Erbach, Domherr zu Mainz und Würzburg und mit Michael de Leone befreundet. Die könnte zusammenpassen mit der Vermutung, dass auch Einlieferungen aus Adelskreisen kamen.

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